Seit Januar 2023 gilt das revidierte Erbrecht. Mit diesem sind bedeutende Änderungen wie mehr Gestaltungsspielraum durch geringere Pflichtteile eingeführt worden. Geblieben sind, wie eine Studie belegt, die Konflikte, die das Thema Erben und Vererben mit sich bringt. Ein zu Lebzeiten erstelltes Testament kann Klarheit schaffen, Streitigkeiten vermeiden und dafür sorgen, dass das Vermögen im Sinne des Erblassers oder der Erblasserin vererbt wird.
Wie Frau und Herr Schweizer das Thema Erbschaft angehen, hat die kürzlich erschienene Studie der Zürcher Kantonalbank (ZKB) in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) untersucht. Befragt wurden 1000 potenzielle Erblassende und angehende Erbinnen und Erben in der Deutschschweiz im Alter von über 40 Jahren. Zwei Fakten sind:
- Streitereien sind sowohl bei Erblassenden wie auch bei den zukünftigen Erbinnen und Erben die grösste Sorge.
- Fast die Hälfte der Befragten schiebt die Nachlassregelung auf die lange Bank.
Etwas Erfreuliches: Seit Januar 2023 gilt das neue Erbrecht und bietet durch den grösseren Gestaltungsspielraum eine gute Gelegenheit, sich des Themas «Vererben» anzunehmen und die Pendenz rechtzeitig anzugehen. Erblassenden steht neu über die Hälfte ihres Nachlasses frei zur Verfügung. Sie können zu Lebzeiten entscheiden, wohin ein beträchtlicher Teil des Erbes fliessen soll und wer dieses Nachlassvermögen in ihrem Sinn erben wird – egal, ob der Lebenspartner, ein Kind, die Mutter, der Bruder, der Ehegatte, die Nachbarin oder eine gemeinnützige Organisation. Das revidierte Erbrecht schenkt Erblasserinnen und Erblassern die Möglichkeit, freier zu entscheiden, wer zukünftig in welchem Ausmass berücksichtigt werden soll.
Fakten zum Thema Erben und Vererben in der Schweiz
- Das Erbschaftsvolumen wächst schneller als das Bruttoinlandsprodukt (BIP). In den letzten 30 Jahren hat sich das Schweizer Erbschaftsvolumen fast verfünffacht, das BIP in dieser Zeit lediglich verdoppelt.
- 91 Prozent der im Rahmen der Studie befragten Erbinnen und Erben hoffen, dass es nicht zu Streit und Konflikten kommt.
- 80 Prozent der Erblassenden gewichten den Aspekt «Erbkonflikte» sehr hoch.
- Bei Frauen geniessen Erinnerungsstücke eine grosse Relevanz, Männer legen mehr Wert auf die finanziellen Aspekte.
- Männer gehen das Thema Nachlassplanung passiver an als Frauen. Erblasserinnen verfassen, nach Absprache mit ihren Erbinnen und Erben, eher ein Testament als Erblasser.
- Mitte vierzig beschäftigen sich die meisten zum ersten Mal mit dem Thema, anschliessend wird die Nachlassplanung häufig vernachlässigt.
- Immobilien machen in der Schweiz fast ein Drittel des gesamten Erbschaftsvolumens aus.
- Nahezu die Hälfte der Erblassenden verschenkt zu Lebzeiten Geld: CHF 23 Mrd. beträgt das Jahresvolumen der Schenkungen schätzungsweise.
- 14 Prozent haben die eigene Nachlassplanung bereits an das neue Erbrecht angepasst.
- Zwei Drittel der Befragten, die ihren Nachlass schon geplant haben, liessen sich beraten.
Quelle: Studie Zürcher Kantonalbank und ZHAW
Erbschaftsstreit ist leider keine Seltenheit
Der Sohn will die Ferienwohnung der Eltern im Bündnerland verkaufen. Er benötigt für die Finanzierung eines Eigenheims finanzielle Unterstützung. Kurz: Er braucht das Geld. Die Tochter hingegen hat zwei Kinder im Teenageralter. Sie möchte die Ferienwohnung behalten und die Familienferien zukünftig in den Bergen verbringen. Der Streit und vielleicht auch ein grosser Konflikt scheinen vorprogrammiert und sind leider keine Seltenheit, denn allen Ansprüchen gerecht zu werden, kann manchmal fast unmöglich sein. Uneinigkeiten über die Verteilung der Erbschaft, unklare Formulierungen in Testamenten, fehlende Eheverträge, unterschiedliche Erwartungen und Versprechen gepaart mit ganz viel Emotionen können zum Streit führen. Gemeinsame Familienfeiern gehören in solchen Fällen leider oft der Vergangenheit an. Die Differenzen sind zu gross. Adieu Familienfrieden – hallo Erbstreitigkeiten. Umso wichtiger ist es, dass man sich frühzeitig um den Nachlass kümmert – also die Nachlassplanung angeht und beispielsweise ein Testament aufsetzt und dadurch Konflikte vermeidet.
Revidiertes Erbrecht schenkt mehr Gestaltungsspielraum
Wie im Interview mit lic. iur. Linda Calan, Senior Erbschaftsberaterin TKB, erwähnt, schenkt das in der Schweiz ab Januar 2023 geltende neue Erbrecht deutlich mehr Freiheiten – sehr zum Vorteil für Lebensformen wie eingetragene Partnerschaften, Patchwork-Familien oder Paare, die im Konkubinat leben.
Der Pflichtteil der Eltern wurde im revidierten Erbrecht beispielsweise abgeschafft und der Pflichtteil der Kinder auf 50 Prozent reduziert. Erblassende können mit dem revidierten Erbrecht über die Hälfte ihres Nachlasses frei verfügen und entscheiden, wer erben wird und das Vermögen erhält.
Was ist zu tun mit bestehenden Testamenten und Erbverträgen?
Bestehende Testamente, die noch vor dem revidierten Erbrecht aufgesetzt wurden, behalten im revidierten Erbrecht ihre Gültigkeit. Es können sich jedoch Auslegungsprobleme ergeben, wenn Kinder oder Eltern auf den Pflichtteil gesetzt wurden. In diesen Fällen ist es unklar, ob der Pflichtteil nach bisherigem oder nach neuem Recht berechnet werden soll. Ein Testamentsnachtrag bietet dann eine gute Möglichkeit, festzuhalten, wie der Nachlass, im Sinne der Erblasserin oder des Erblassers, verteilt werden soll.
Und wenn noch keine Regelung für den Nachlass besteht?
Eine Beratung schafft in diesen Fällen Klarheit über die Situation. Weiter lernen Erblassende unterschiedliche Möglichkeiten kennen, den Nachlass, gemäss den eigenen Bedürfnissen, zu Lebzeiten zu regeln. Nicht zu unterschätzen sind auch die Fehler, die beim Aufsetzen der Dokumente (Vertrag, Testament usw.) entstehen können. So kann in diesen Fällen eine Beratung durchaus von grossem Vorteil sein und positiv auf das Ziel «Erbstreitigkeiten vermeiden» einzahlen.