Bis vor zwei Jahren entwickelten sich die Thurgauer Aussenhandelszahlen beachtlich: Zwischen 2016 und 2022 legten die Ausfuhren im Gleichschritt mit dem Gesamtexport der Schweiz zu – insgesamt um rund 26 Prozent. In den letzten beiden Jahren aber verzeichneten die Thurgauer Betriebe einen Rückgang des internationalen Handels. Die gesamtschweizerischen Exporte hingegen stiegen im selben Zeitraum weiter – in erster Linie getrieben von den wenig konjunktursensitiven Pharmaexporten.
Entwicklung der Exporte der Schweiz (inkl. FL) und des Kantons Thurgau
2016‒2024, indexiert (2016 = 100), konjunkturelles Total
Quelle: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG)
Im Thurgau hingegen dominieren konjunkturabhängige Güter wie Fahrzeuge, Maschinen sowie Metalle und Metallerzeugnisse. Diese machen zusammen mehr als die Hälfte aller Exporte aus. Die Nachfrage nach diesen Gütern reagiert relativ stark auf die weltwirtschaftliche Dynamik. Und die letzten beiden Jahre brachten mehr Gegen- als Rückenwind. Eine abgekühlte Konjunktur in Europa, zunehmender Protektionismus und ein anhaltend starker Schweizer Franken drückten auf die Stimmung – genau in diese fragile Phase platzte die nächste Belastung: die Ankündigung der US-Importzölle.
US-Zölle belasten Thurgauer Exporteure
Die USA sind nach Deutschland der zweitwichtigste Einzelabsatzmarkt für Thurgauer Unternehmen. Eine Umfrage der beiden Industrie- und Handelskammern Thurgau und St.Gallen-Appenzell von Ende April zeigt denn auch: Zwei Drittel der Ostschweizer Firmen beurteilen die langfristigen Auswirkungen der US-Zölle auf das Schweizer Wirtschaftswachstum als eher negativ, 19 Prozent sogar als stark negativ.
Unmittelbar betroffen ist die Geobrugg AG in Romanshorn. Das Unternehmen entwickelt und produziert Schutzsysteme aus hochfestem Stahldraht. Die USA sind dabei der bedeutendste Einzelmarkt. «Zwar produzieren wir seit fast drei Jahrzehnten in den USA. Doch bei neuen Produkten und Speziallösungen, die wir in der Schweiz fertigen, greifen die Stahlzölle von derzeit 50 Prozent voll», sagt Andrea Roth, CEO der Geobrugg AG in Romanshorn.
Zollspirale verschärft Unsicherheit
Die US-Zollpolitik hat sich seit Anfang April erheblich verschärft. US-Präsident Trump kündigte Anfang April einen pauschalen Einfuhrzoll von 10 Prozent an, ergänzt durch länderspezifische Zölle – etwa 31 Prozent auf Schweizer Waren. Letztere wurden zunächst für 90 Tage ausgesetzt. Am 4. Juni dann folgte die nächste Eskalation: Die bestehenden Stahl- und Aluminiumzölle in Höhe von 25 Prozent wurden verdoppelt. Andrea Roth illustriert an einem Beispiel für Geobrugg die daraus resultierende Unsicherheit: «Wir hatten Produkte bereits verschifft, als der neue Zollsatz verkündet wurde. Das verteuert diese Lieferung massiv, und einfach stoppen können wir sie nicht.»
Was denken Sie, was passiert mit den US-Zusatzzöllen nach Ablauf der 90-tägigen Übergangsfrist?
Auch bei Switzerland Global Enterprise (S-GE), der offiziellen Schweizer Exportförderungsorganisation, beschäftigt derzeit vor allem die US-Zollpolitik: «Die Anfragen aus dem Thurgau zu den USA haben sich gegenüber dem Vorjahr fast versechsfacht.» Viele Exportfirmen prüfen als Reaktion auf die angekündigten Zölle derzeit ihre Optionen.
Derzeit herrscht vor allem Unsicherheit
Gemäss der IHK-Umfrage überdenken derzeit nur wenige Ostschweizer Firmen einen Rückzug aus dem US-Markt oder eine (Teil-)Verlagerung der Produktion in andere Länder. Der Grossteil der Unternehmen analysiert die Lage laufend, ohne sofortige Massnahmen zu ergreifen. Andere wiederum versuchen, die Zollkosten über Preisanpassungen an die Kundschaft weiterzugeben oder das Gespräch mit US-Kunden zu suchen.
Ostschweizer Unternehmen sondieren vorerst die Lage
Antworten auf die Frage, welche Massnahmen die Unternehmen, die in die USA exportieren, als Reaktion auf die angekündigten US-Zölle ergreifen. Antworten nur für Unternehmen, die in die USA exportieren; Mehrfachantworten möglich.
Quelle: IHK-Unternehmensumfrage (Befragung: 15. April bis 1. Mai 2025)
Andrea Roth beobachtet dabei Kooperationsbereitschaft: «Unsere US-Kunden – zum Beispiel grosse Bauunternehmen – sind derzeit bereit, Zollaufschläge zu übernehmen, da sie diese weitergeben können.» Allerdings sei dies sicherlich keine dauerhafte Lösung. Die fehlende längerfristige Planbarkeit führt zu Unsicherheit. Die Folge: Investitionen werden verschoben, grössere Vorhaben zurückgestellt – insbesondere bei Projekten, die nicht sofort zwingend umgesetzt werden müssen. «Unsicherheit ist das, was grosse Projekte am stärksten ausbremst», sagt Roth. Dies trifft die in der Ostschweiz stark verankerte Investitionsgüterindustrie besonders.
Neue Märkte im Visier …
Dabei ist die von den neuen handelspolitischen Verwerfungen ausgehende Unsicherheit derzeit nicht das einzige Sorgenkind. Seit längerer Zeit schwächelt mit Deutschland der mit Abstand wichtigste Exportmarkt der Thurgauer Wirtschaft.
Weil es im wichtigsten Absatzmarkt stockt und der zweitwichtigste sich zusehends dem Welthandel verschliesst, wollen Thurgauer Unternehmen auf neue Märkte setzen. Gemäss aktueller TKB-Firmenkundenumfrage sehen ein Drittel der befragten Industriebetriebe ihr grösstes Wachstumspotenzial in der Erschliessung neuer Absatzmärkte im Ausland.
Dass sich Unternehmen aktuell vermehrt diversifizieren und sich regional aufstellen, beobachtet auch die Exportförderungsorganisation S-GE. Neue oder gestärkte (Freihandels-)Abkommen, etwa mit Indien, Thailand oder der Europäischen Union, würden für die Unternehmen «massiv» an Bedeutung gewinnen. Für die Diversifikation seien diese entscheidend: Wer in einem Markt verliert, kann in einem anderen wachsen.

… aber Deutschland bleibt unverzichtbar
Schon in den letzten Jahren – etwa seit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses oder während der Covid-Pandemie – wurde immer wieder über eine breitere Ausrichtung der Export- und Importmärkte gesprochen. Ein Blick in die Thurgauer Aussenhandelsstatistik von 2016 bis 2024 zeigt jedoch: Viel hat sich nicht verändert. Zwar gab es punktuell mehr Exporte nach China und Rumänien, allerdings auf tiefem Niveau. Deutschland ist der mit Abstand wichtigste Beschaffungs- und Absatzmarkt geblieben.
Wichtigste Handelspartner des Thurgaus
Vergleich der acht wichtigsten Handelspartner gemessen am Warenhandelsvolumen in % des Gesamtexports, 2016 und 2024 im Vergleich, konjunkturelles Total

Quelle: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG)
Wird diese Nähe schwinden? Für Geobrugg unmittelbar nicht, wie Andrea Roth sagt: «Deutschland ist und bleibt ein absolut zentraler Markt für uns – auch wenn dieser nicht das Wachstumspotenzial anderer Märkte hat.» Besonders die geografische Nähe und das über Jahre gewachsene Beziehungsnetz seien in schwierigen Phasen entscheidend. «Thurgauer und deutsche Unternehmen sind traditionell eng verflochten und das schafft Beständigkeit», sagt Roth. Wichtig sei nun, dass in Berlin die nötigen Investitionen in Infrastruktur und Energie ausgelöst und auch schnell umgesetzt würden.
Flexibel, spezialisiert, gefragt
Trotz aller Herausforderungen: In der Thurgauer Industrie überwiegt die Zuversicht. «Was uns hilft, ist, dass wir starke Produkte haben, die sich nicht einfach ersetzen lassen», sagt Andrea Roth. Viele exportorientierte Unternehmen sind in spezialisierten Nischen erfolgreich – und damit auch trotz (Zoll-)Hürden gefragt.
Hinzu kommt eine Stärke, die sich in den letzten Jahren immer wieder bewährt hat: Flexibilität und Anpassungsvermögen. «Die ersten Zölle während Trumps zweiter Amtszeit, die wir effektiv bezahlt haben, waren kanadische Gegenzölle auf Produkte, die wir aus unserem US-Werk nach Kanada lieferten», erzählt Roth. Die Eskalation zwischen zwei Ländern schadet dem Auslöser: Geobrugg reagierte umgehend, stellte die Lieferketten um und beliefert Kanada seither nicht mehr aus den USA, sondern aus dem Thurgau.
Dieser Artikel wurde durch die IHK St.Gallen-Appenzell in Zusammenarbeit mit der Thurgauer Kantonalbank erstellt. Die Onlinepublikation wird auf der TKB-Webseite veröffentlicht und kann als Newsletter abonniert werden: Newsletter Wirtschaft Thurgau