Nachhaltigkeit? ‒ Bitte gerne, aber wie und wann?

Oktober 2023 | Thurgauer KMU erkennen die Bedeutung von Nachhaltigkeit, stehen bei der konkreten Umsetzung jedoch vor grossen Herausforderungen. Zwei Thurgauer Unternehmer und ein Experte erklären ihre Strategien für mehr Nachhaltigkeit – und wie es sich auch wirtschaftlich rechnet.

Energie und Ressourcen einsparen, wiederverwertbare Materialien einsetzen, die Biodiversität fördern: Alles erstrebenswert – und doch einfacher gesagt als getan. «Ja, bitte!», sagen viele Unternehmerinnen und Unternehmer zu einer nachhaltigeren Zukunft. In einer Umfrage der Fachhochschule OST gaben 78 Prozent der befragten Ostschweizer Firmen an, das Thema Nachhaltigkeit sei für sie relevant. 

Grössere Firmen haben Ziele zur Energie- und Ressourceneffizienz umgesetzt. Das zeigt eine aktuelle Umfrage der IHK St.Gallen-Appenzell. Auch kleinere sind engagiert, aber bei der Umsetzung eingeschränkt. Neben dem Tagesgeschäft mangelt es häufig an Zeit und Ressourcen, um sich der «Herausforderung Nachhaltigkeit» zu stellen.

Grafik: Kleinere Unternehmen beschäften sich weniger mit Energie- und Ressourceneffizienz als grössere
«Energie- und Ressourceneffizienz ist Teil unserer operativen Geschäftsplanung»

Richtlinien und Erwartungen treiben Wandel an

Ein aktueller Bericht des Inavant-Lab Frauenfeld, der von der Thurgauer Kantonalbank mitinitiiert wurde, will Abhilfe schaffen. Dieser beinhaltet einen praxisnahen Leitfaden für nachhaltiges Wirtschaften in KMU. 22 Unternehmerinnen und Unternehmer aus verschiedenen Branchen geben Einblicke in ihre Nachhaltigkeitsprojekte und Arbeitsweisen. Eine Haupterkenntnis: Wer in nächster Zeit Nachhaltigkeit nicht in seine Geschäftsaktivitäten einbindet, verliert über kurz oder lang den Anschluss. 

Damian Wirth vom Inavant-Lab hat am Bericht mitgearbeitet. «Immer mehr Kunden wollen von ihren Zulieferern Nachhaltigkeitsstrategien und erste Resultate sehen. Zusätzlich spüren KMU den anhaltenden Druck durch regulatorische Vorgaben», berichtet Wirth. Noch beruhen viele Nachhaltigkeitsbemühungen auf Freiwilligkeit. In einigen Jahren müsse man aber damit rechnen, wegen fehlender Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit nicht mehr als Lieferant berücksichtigt zu werden.

Nachhaltigkeit lohnt sich – auch finanziell

Ein Beispiel: Der landwirtschaftliche Dachverband Bio Suisse will bis 2040 keine fossilen Heizungen in Gewächshäusern mehr, ein grosser Schweizer Detailhändler setzt dies schon 2025 voraus. Biogärtner Tobias Neubauer aus Erlen mag nicht warten, bis er wegen neuer Regulatorien «das Messer am Hals» hat, und installierte kürzlich eine Holzschnitzelheizung und Photovoltaikanlagen für seinen Betrieb.

«Wir investieren, weil der Zeitpunkt günstig ist. Wir haben wegen guter Geschäftsjahre die finanziellen Möglichkeiten und können auch von Förderbeiträgen profitieren.»
Tobias Neubauer
Geschäftsführer, Biogärtnerei Neubauer GmbH, Erlen

Anstatt nur bei Dringlichkeit zu investieren, zahle sich Handeln aus Überzeugung auch geschäftlich aus. Familie Neubauer gehört zu den Schweizer Biopionieren, stellte ihren Betrieb vor 35 Jahren um, aus ideologischen Gründen. Finanziell war der Entscheid damals nicht attraktiv. «Aus heutiger Sicht hat sich die Umstellung zu 100 Prozent ausbezahlt», sagt Neubauer. Statt in kurzfristigen Quartalszahlen müsse man bei diesem Thema in Dekaden denken. Der Erlener Biogärtner – ein Einzelfall? Damian Wirth verneint: «Der wirtschaftliche Nutzen von Investitionen in die Nachhaltigkeit ist positiv und durch Studien belegt.»

Wachstum trotz sinkender Emissionen

Der Schweiz gelingt es seit 2010, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und gleichzeitig das Bruttoinlandsprodukt zu steigern. Man spricht dabei von einer «Entkopplung» von Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt nahmen die Treibhausgasemissionen im Zeitraum von 1990 bis 2021 um fast 50% ab.

Grafik: Entkopplung von Treibhausgas-Emissionen und Bruttoinlandsprodukt 

Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen relativ zu 1990, zusammen mit dem BIP. Auch gezeigt sind die Emissionen pro BIP. (Index 1990 = 100)

Lieferketten verstehen heisst Emissionen verstehen

Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Schweizer Unternehmen nachhaltiger werden. Den Königsweg dazu gibt es nicht – aber einige gute Ansätze. Wenn immer möglich sollten sich Nachhaltigkeitsbestrebungen direkt auf die eigenen Produkte und das Kerngeschäft konzentrieren, heisst es im Bericht des Inavant-Labs. Da liege der grösste Einflussbereich, um negative Auswirkungen zu minimieren und einen positiven Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft auszuüben.

Hiesige Unternehmen kämen nicht darum herum, die Emissionen aus unternehmensinternen Produktionsprozessen und Lieferketten genau zu kennen. Nur wer die Hauptursachen für seine negativen Umweltauswirkungen kennt, kann auch die entscheidenden Handlungsfelder bestimmen.

Wie beeinflusst Nachhaltigkeit Ihre Kaufentscheidungen?

Ich wähle stets nachhaltige Produkte, auch teurere.
Ich bevorzuge Nachhaltiges, wenn der Preis passt.
Ich erwarte Nachhaltigkeit, achte aber nicht aktiv darauf.
Manchmal achte ich auf Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit beeinflusst meine Kaufentscheidung nicht.

Halbe Million Energiekosten eingespart

Vor einigen Jahren hat die in Sitterdorf ansässige Biplast AG ihre gesamte Produktion unter die Lupe genommen, unterstützt durch ein externes Beratungsunternehmen. Der Kunststoffflaschen-Hersteller machte vor allem beim Stromverbrauch und beim Kunststoffeinsatz beträchtliches Einsparpotenzial aus. 

Die Konsequenz: Biplast hat zwei Drittel des Maschinenparks ausgetauscht und dadurch in den letzten zehn Jahren einen Drittel des Energieverbrauchs eingespart. CEO Beat Hurni erklärt: «Wir können künftig jährlich 500’000 Franken an Energiekosten einsparen. Wegen der steigenden Strompreise hat sich das Investment voraussichtlich schon 10 Jahre früher amortisiert als vorgesehen.»  

Kreislaufwirtschaft muss Ziel sein

Den grössten Einfluss aufs Klima hat jedoch nicht der Stromverbrauch, sondern der Rohstoff der Biplast-Produkte: «Kunststoff ist unsere grösste Emissionsquelle», sagt Beat Hurni. Seine Firma arbeitet mit Kunden an Produktdesigns für Verpackungen, die weniger Plastik benötigen und in geschlossenen Plastikkreisläufen wiederverwertet werden können. «Durch den Einsatz von Rezyklaten können wir unseren CO2-Fussabdruck um 58 Prozent reduzieren», sagt Beat Hurni. 

Beim PET-Recycling ist die Schweiz Weltmeister. Aber von anderen Plastiksorten kommen nur magere 11 Prozent zurück in die Produktion. Das will Hurni ändern. Dabei gehe es ihm nicht nur darum, die Branche und seine Firma fit für die Zukunft zu machen. Die Schweiz müsse unabhängig werden von zweifelhaften Rohstoffquellen wie Russland oder dem Nahen Osten. 

«Wenn wir unsere nachhaltigen, eigenen Ressourcen schaffen, macht uns dies widerstandsfähiger gegenüber kommenden globalen Herausforderungen.»
Beat Hurni
CEO Biplast AG, Sitterdorf

Trennen Sie Ihren Plastikabfall?

Ja, ich trenne PET und Plastik vom Restmüll.
Ich trenne nur PET, anderen Plastik sortiere ich nicht aus.
Nein, ich werfe alles in denselben Müll.

Das Offensichtliche ist nicht immer das Beste

Nicht immer sind die Handlungsspielräume so gross – jene von kleinen Unternehmen können auf den ersten Blick sogar sehr überschaubar wirken. «Als kleines Unternehmen sollte man sich auf die Bereiche konzentrieren, die man wirklich beeinflussen kann, zum Beispiel betriebliche Mobilität, Abfallmanagement oder Energieeffizienz», sagt Wirth.

Er plädiert zudem dafür, dass Kleinunternehmen nicht nur auf die Reduktion negativer Effekte fokussieren. So könne es ebenso effektiv sein, im Kerngeschäft Bereiche zu identifizieren, in denen man einen positiven Einfluss habe. Heizungsinstallateure erreichen zum Beispiel mit systematischen Kundenberatungen über intelligentes Heizen einen grösseren Umwelteffekt, als wenn sie nur ihre Werkstatt weniger heizen. 

Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit für KMU möge anfangs beschwerlich erscheinen. Die Strategien zum schonenden Umgang mit Energie und Ressourcen seien unterschiedlich, sagt Damian Wirth. «Viele Unternehmen mit Erfahrung in Nachhaltigkeit raten daher schlicht: Egal, welcher Bereich als Erstes angegangen wird, fangen Sie einfach an!»

Dieser Artikel wurde durch die IHK St.Gallen-Appenzell in Zusammenarbeit mit der Thurgauer Kantonalbank erstellt. Die Onlinepublikation wird auf der TKB-Webseite veröffentlicht und kann als Newsletter abonniert werden: Newsletter Wirtschaft Thurgau

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